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Dein Leitfaden für das Unterrichten einer Sprache

Aktualisiert: 20. Okt. 2021


Photo by Sam Balye on Unsplash


Möchtest du dich als ehrenamtliche Lehrkraft für geflüchtete Menschen engagieren, einem nicht-muttersprachlichen Kind Deutschnachhilfe geben, oder hast du Lust auf ein Sprachtandem mit einer zweiten Person, bist aber unsicher, wie du deine Sprache adäquat vermitteln kannst? Dann wird dir dieser Blogbeitrag die wichtigsten Infos für den Start geben.


Dieser Blogbeitrag ersetzt natürlich keine fundierte Ausbildung im Bereich Sprachdidaktik oder Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, und ist auch gar nicht als solcher Ersatz gedacht. Wie viele andere Lehrende sehe auch ich die mangelnde Qualifikation in (bezahlten) Unterrichtsjobs kritisch. Genau wie jede andere Fähigkeit ist Sprachvermittlung ein Job, der bestimmte Qualifikationen erfordert und gerecht bezahlt werden sollte.


Aber das sind Fragen, die auf einer anderen Ebene gelöst werden müssen. Wenn du dich entschieden hast, einen Teil deiner Freizeit dazu zu verwenden, einem anderen Menschen beim Lernen deiner Sprache zu helfen – gratuliere, ich finde das toll! Wenn du noch nicht viel oder gar keine Erfahrung beim Unterrichten hast, gebe ich dir hier eine kurze Zusammenfassung meiner wichtigsten Erfahrungen. Und wenn du Feuer gefangen hast fürs Unterrichten und dich gerne in diese Richtung weiterbilden und professionalisieren möchtest, bekommst du hier ebenfalls weiterführende Infos und Links von mir.


Eins vorweg: Was bedeutet Sprachniveau A1, A2, usw.?


Vielleicht hast du schon die Buchstaben- und Nummernkombinationen bei Deutschkursen oder auch anderen Sprachkursen gesehen. Doch was bedeuten sie?

Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen (GER) wurde vom Europarat entwickelt, um Fremdsprachenkenntnisse vergleichbar und überprüfbar zu machen. Er definiert verschiedene Kompetenzen (wie Sprechen, Hören, Lesen und Schreiben) auf verschiedenen Niveaus: Vom absoluten Anfängerniveau A1 bishin zum Sprachniveau eines Muttersprachlers/einer Muttersprachlerin mit akademischem Abschluss (C1/C2). In Europa bauen alle anerkannten, standardisierten Sprachtests auf dem GER auf. Er legt fest, was Lernende auf welchem Niveau können sollen: ein einfaches Gespräch führen, ein Infoblatt verstehen, selbst frei sprechen oder einen Film in der Zielsprache sehen.

Der GER und die auf ihm basierenden Tests sind für beide Seiten im Unterricht wichtig, um ganz klar zu sehen, was überhaupt auf einem Sprachniveau gefordert wird.


Hier findest du Übungsmaterial zum ÖSD-Test, einem standardisierten Test, der auf dem GER basiert.


Das Wichtigste zuerst: Teacher Talk


Dieser Begriff aus der internationalen Didaktikforschung lässt sich sinngemäß mit Sprache der unterrichtenden Person übersetzen und meint damit, wie der/die Lehrende Inhalte sprachlich vermittelt. Das ist auch die Sache, die Menschen mit sprachpädagogischem Hintergrund meistens deutlich von Menschen ohne einen solchen unterscheidet. Menschen, die zwar ihre Muttersprache perfekt sprechen, aber nie gelernt haben, wie man diese auch vermittelt, erklären oft viel zu kompliziert, ausschweifend und überhaupt nicht an das Niveau ihrer Lernenden angepasst. Ein Beispiel gefällig?


Den deutschen Begriff Nachname kannst du so oder so erklären:


Der Nachname wird manchmal auch Familienname genannt. Üblicherweise hat man bei uns nur einen Nachnamen, meistens ist das der des Vaters oder des Mannes, wobei man sich heute auch dafür entscheiden kann, den Namen seiner Frau anzunehmen, einen Doppelnamen zu führen oder als Frau den Mädchennamen auch nach einer Heirat zu behalten.


Das ist zwar inhaltlich richtig, aber ein Studierender, der kein Deutsch kann und gerade in der ersten A1-Deutschstunde sitzt, verzweifelt bei so einer Erklärung.


Viel besser:


Ich heiße Anna Müller. Anna ist mein Vorname. Müller ist mein Nachname. Vorname: Anna. Nachname: Müller.

Und jetzt schreibst du beides gut leserlich auf ein Whiteboard oder die Tafel.

Wie heißt du? Was ist dein Vorname? Und was ist dein Nachname?

Und das wiederholst du jetzt mit allen anwesenden StudentInnen.


Was uns gleich zum nächsten Punkt bringt:


Wiederholen, wiederholen, wiederholen


Denk daran, wie du selbst Fremdsprachen gelernt hast. Sicher hast du dir nicht jedes Wort sofort gemerkt. Wiederholung ist unglaublich wichtig, vor allem für AnfängerInnen.

Manche Grundthemen der deutschen Sprache wiederhole ich immer wieder, auch mit Fortgeschrittenen, weil sie einfach so wichtig sind und nicht vergessen werden dürfen. Dazu gehören die Artikel, die Adjektivendungen und Aussprachetraining.


Fehler sind Schritte auf dem Weg zum Ziel


Ah, die gute alte Schulzeit mit ihrer schwarzen Pädagogik. Gut Gemachtes wurde nicht weiter kommentiert, Fehler waren immer und überall böse und wenn man es nach zwei Versuchen immer noch falsch macht, tja, dann war man wohl einfach zu blöd dafür. Aber genug des Sarkasmus; sprechen wir lieber darüber, wie wir Fehler im Unterricht anders betrachten und produktiv nutzen können.

Die Wahrheit ist:

Fehler sind nicht nur unvermeidbar; Fehler sind wichtig. Kein Kleinkind würde jemals das Laufen oder Sprechen lernen, wenn man vom ihm von Anfang an wohlgeformte, perfekte Sätze oder sichere Schritte erwarten und das Kind es beim dritten, vierten, hundertsten Mal Umfallen einfach nicht mehr versuchen würde. Aber nicht nur das: Die Fehler deiner Lernenden helfen auch dir als LehrerIn, zu sehen, was sie noch brauchen und wie du sie konkret unterstützen kannst.

Barbara Klema schreibt in diesem Artikel über Deutschlernende in Japan über ein Beispiel, dass dies besonders gut illustriert. Alle ihre Studierenden hatten vor dem Deutschunterricht bereits mehrere Jahre lang Englisch gelernt. Ein Studierender sagte: Ich finde der Koat wichtig.

Das ist zwar lexikalisch falsch, zeigt aber, dass hier eine Schreibungsregel verstanden wurde: Deutsche Wörter, die mit C beginnen, sind nämlich sehr selten. Englische Wörter, die mit C beginnen, werden im Deutschen oft mit K geschrieben: Kalzium, Kabine, Kabel, Keller, usw.

Anstatt also reflexmäßig auf Fehler hinzuhauen, wie es leider immer noch der Standard in unserem Unterrichtswesen ist, kann man sich als Lehrkraft Fehler ansehen, sie analysieren und versuchen, ihren Ursprung zu finden. Fehlt hier einfach ein bestimmtes Wort im Wortschatz? Oder wurde beispielsweise eine Schreibregel nicht richtig verstanden?


Graduiere deine Aufgabe, nicht dein Material


Ich weiß nicht, wie es dir damit ging, aber mich haben die gekürzten und leichter gemachten Lesetexte in der Schule immer wahnsinnig gelangweilt. Mir ist es immer lieber, einen Originaltext zu bekommen und dafür entsprechende Lektürehilfen dazu oder vielleicht nur einen Ausschnitt vom Originaltext.

Deine Studierenden wünschen sich vor allem einen Umgang mit der Sprache, der sie im Alltag begegnen. Es bringt also zumindest rein sprachlich gesehen nicht so viel, die Hausregeln der Wiener Linien in drei einfachen Sätzen zusammenzufassen, wenn sie dann in der U-Bahn eine riesige Plakette mit unglaublich kompliziert formulierten Schachtelsätzen antreffen. (Einfache, leicht zugängliche Sprache im Alltag ist auch ein ganz eigenes Thema, das ich hier jetzt nicht aufgreifen will, weil das zu weit führen würde. )

Wenn du gerne mit einem bestimmten Textmaterial arbeiten möchtest, überlege dir, welche Aufgaben du dazu stellen kannst, die dem Sprachlevel deiner Lernenden entsprechen. Du kannst beispielsweise einen Originalartikel mit einer fortgeschrittenen Gruppe analysieren und mit verteilten Rollen diskutieren lassen. Du kannst aber auch einen Artikel für A1 graduieren, indem du sie bereits bekannte Wörter im Text suchen lässt. Du könntest diesen Artikel sogar für einen Alphabetisierungskurs verwenden, indem du deine LernerInnen bestimmte Groß- oder Kleinbuchstaben, die ihr gerade im Kurs gelernt habt, suchen lässt.

Nicht das Ausgangsmaterial ist entscheidend, sondern das, was du daraus machst.


Wenn du das Gefühl hast, viel zu langsam zu sprechen ... ist dein Tempo vermutlich gerade richtig


Ich garantiere es dir: Fast immer sprechen Menschen, die nicht oft vortragen, viiiiel zu schnell. Verlangsame dein Sprechtempo. Mach bewusst Pausen. Atme. Schau, ob das Gesagte verstanden wurde. Frage nach. Viele Studierende trauen sich nämlich nicht, zu sagen, dass sie etwas nicht verstanden haben oder dass es gerade zu schnell ging. Vor allem, wenn alle anderen sich auch nicht trauen und nur automatisch nicken.

Langsames Sprechen nimmt dir und deinen StudentInnen den Stress.


Es gibt nicht nur das eine Deutsch (oder das eine Englisch, das eine Französisch, das eine Spanisch)


Während manche Sprachen sich tatsächlich nur auf ein Land (oder sogar nur eine kleine Region innerhalb eines Landes) beschränken, gehört Deutsch genau wie beispielsweise Englisch, Spanisch oder Französisch zu den sogennanten plurizentrischen Sprachen. Das heißt, diese Sprache hat sich an mehreren Zentren unterschiedlich entwickelt. Genau wie das Englisch in den USA anders klingt, teilweise anders geschrieben wird und und andere Wörter benutzt als das Englisch in Großbritannien oder Australien, gibt es im Deutschen auch unterschiedliche Standard-Varianten: Österreichisches Deutsch, Deutschländisches Deutsch, Schweizer Hochdeutsch und Liechtensteiner Deutsch. Wichtig: Es gibt nicht eine richtigere und eine falschere Variante, sondern hier handelt es sich schlichtweg um Standard-Varianten. Januar ist genauso richtig wie Jänner, wird aber einfach eher in Deutschland verwendet, während die ÖsterreicherInnen zum Großteil das Wort Jänner verwenden.

Meiner Erfahrung nach ist es sinnvoll, den Studierenden die Variante beizubringen, mit der sie im Alltag konfrontiert sind. Wenn du in Österreich unterrichtest, wäre das das Österreichische Standarddeutsch.

Bedenke aber, das die meisten Lehrmaterialien aus Deutschland kommen und dort Deutschländisches Deutsch verwendet wird. Das ist aber kein Problem, sondern erfahrungsgemäß eher etwas, das die Studierenden bald selbst merken und das sie neugierig machen wird. Warum heißt das im Buch Quark, aber im Supermarkt Topfen? Dann kann man kurz thematisieren, dass manche Dinge in Deutschland anders genannt werden als in Österreich.


Nicht zu verwechseln sind diese Standardvarianten mit Umgangssprache und Dialekt, die sich durch Auslassungen, Satz-bzw. Wortverkürzungen (I geh jetzt) oder komplett anders geschriebene bzw. ausgesprochene Wörter (Guat' Nocht!) auszeichnet. Umganssprache und Dialekt variieren regional stark und sollten erst bei fortgeschritteneren LernerInnen, die schon sehr sicher in der Standardsprache sind, thematisiert werden. Natürlich werden sie ohnehin schon früher in ihrem Alltag darauf aufmerksam und werden und einzelne Ausdrücke lernen. Wichtig ist auch, ihnen mitzuteilen, dass nicht alle MuttersprachlerInnen perfekt Deutsch sprechen: Eben weil es Dialekte und Umgangssprachen gibt.


Was will ich wissen vs. Was will ich vermitteln?


Dies ist eher die Zusammenfassung des ganzen Textes als ein eigener Punkt.

Als Deutsch-MuttersprachlerIn hast du natürlich viel mehr Wissen, als du deinen TeilnehmerInnen weitergeben kannst. Überlege dir in deiner Vorbereitung gut, was dein Hintergrundwissen ist und was davon du tatsächlich unterrichten willst– und wenn ja, wie du das altersgerecht und an das Sprachniveau deines Gegenübers angepasst vermitteln kannst.


Es ist völlig in Ordnung, etwas nicht zu wissen.


Wann hast du zum letzten Mal jemanden sagen hören: Ich weiß es nicht?

In der Ära selbsternannter InternetexpertInnen hört man diesen Satz leider viel zu selten. Dabei sollten wir alle diesen Satz öfters benutzen, denn in Wahrheit ist es so, dass unsere Welt sehr komplex ist und wir von vielen Dingen keine oder nur sehr wenig Ahnung haben. Ich arbeite seit mittlerweile acht Jahren als Lehrkraft für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache und bekomme immer noch ab und zu Fragen, die ich nicht aus dem Stegreif beantworten kann. In diesem Fall notiere ich mir die Frage und sage dem Studenten/der Studentin, dass ich beim nächsten Mal darauf zurückkommen werde – gut vorbereitet und mit einer echten Antwort statt erfundenem Blabla, das kaschieren soll, dass ich es gerade nicht weiß.


Und das Wichtigste....


Vor allem erwachsene Lernende neigen sehr stark zu Perfektionismus und Sprechangst.

Schaffe eine positive Atmosphäre in deinem Unterrichtsraum. Vermittle deinem Gegenüber, dass Lernen zum einen ein Prozess und außerdem etwas Positives ist, und dass er/sie immer mit Fragen zu dir kommen kann.



Hier findest du graduierte Materialien zum Deutschlernen und -lehren:



Bist du neugierig geworden und möchtest deinen Unterricht professionalisieren oder vielleicht sogar zum Beruf machen? Hier findest du eine Auswahl an Aus- und Weiterbildungen im Bereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache:






capito.eu : Infos, Materialien und Weiterbildungen zum Thema einfache Sprache


Hast du Fragen zu diesem Thema, oder bist du selbst ausgebildete Lehrkraft und hast Ergänzungen? Schreib es uns gerne in die Kommentare!



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